1933 – Seniorin erinnert sich an ihre China-Reise 1933

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Auf diesem Handelsschiff reiste ich nach China

Von 1933 bis 1935 lebte Ursula Essigke in China, in Nanking, dem heutigen Nanjing

„Ich bin 1933 mit meiner Mutter nach China ausgereist. Wir traten diese große Fahrt an, da mein Vater als Militärberater der chinesischen Regierung von Chiang Kai Shek schon seit einem Jahr in China tätig war. Ich war acht Jahre alt und freute mich sehr auf diese besondere Reise, zumal ich endlich meinen Vater wieder sehen würde. Ich fand es aufregend Berlin zu verlassen, um auf einem Schiff gen Osten zu reisen. Schon die Fahrt nach Genua, wo wir auf das Schiff gingen, war abenteuerlich: meine Mutter war 32 Jahre alt und wir beiden reisten allein. Sie sprach gut Englisch, aber in Genua z.B. konnten wir uns nur schwer verständigen.

Fimg_3779ünf Wochen sollte die Reise mit dem Schiff dauern; es war ein Handelsschiff der Hapag Reederei und bot neben der Fracht Platz für zwanzig Passagiere. Meine Mutter und ich hatten eine schöne Kabine, in der wir uns sehr wohl fühlten. Im Mittelmeer hatten wir drei Tage einen schweren Sturm; meine Mutter war sehr seekrank und mit ihr auch die anderen Passagiere. So kam es, dass ich in dieser Zeit der einzige Passagier an Bord war, der zum Essen ging. Meine Standhaftigkeit in dieser Situation brachte mir die Anerkennung und Freundschaft des Kapitäns und der Offiziere ein. Die Wochen auf dem Schiff gehören sicherlich mit zu den aufregendsten Zeiten in meiner Kindheit. Die Offiziere und auch der Kapitän waren sehr nett zu mir, zumal ich das einzige Kind an Bord war. So durfte ich zum Beispiel den Kapitän auf seinem Rundgang über das Schiff begleiten – sozusagen als „5. Offizier“ und dem 2. Offizieren bei der Wache nach dem Mittagessen Gesellschaft leisten.

In Port Said gingen wir zum ersten Mal von Bord

Wir waren beeindruckt von dem orientalischen Gewimmel auf den Märkten und von dem Schmutz. Auf den Fahrten haben meine Mutter und ich uns mit anderen Passagieren zusammengetan. Die gemeinsame Zeit auf dem Schiff hat uns einander sehr nahe gebracht. Es entstanden enge Kontakte, die meine Mutter noch viele Jahre pflegte.  Der Kapitän zum Beispiel hat mich noch Jahre später, als er längst schon pensioniert war, zu sich eingeladen – wir haben uns immer geschrieben.

Die Durchquerung des Suez-Kanals war sehr beeindruckend – selbst für mich als Kind

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Durchquerung des Suezkanals

Man hatte das Gefühl, als führe man mit dem Schiff über Land. Der Kanal war sehr schmal und so gab es an den Ufern viel zu sehen. Nachdem wir den Suezkanal durchquert hatten, ging es in Richtung Indien über das Rote Meer in den Indischen Ozean. Wir brauchten zwei Wochen bis wir Colombo, die Hafenstadt im heutigen Sri Lanka, erreichten. Die Tagen waren sehr heiß und auch sehr langweilig, denn    außer Wasser, Delfinschwärmen und springenden Fischen gab es nichts zu sehen. Zum Glück wurde auf dem Vorderdeck ein kleines Schwimmbad mit Salzwasser zur Erfrischung aufgebaut. Der Kapitän hatte sich in den Kopf gesetzt, mir das Schwimmen beizubringen. Erst wurde ich ein paar Mal an eine Angel gehängt und dann ins Wasser geworfen. Mit Erfolg!

Colombo zu erreichen – und damit endlich Land zu sehen – war eine Erlösung – für Alle an Bord

In den Häfen hatten wir meist zwei bis vier Tage Aufenthalt, da die Fracht ja vom Schiff entladen und neue Fracht wieder geladen werden musste. Wir haben die Zeit genutzt, sind über Land gefahren oder haben uns die Hafenstädte angeschaut. Was wir hier in Colombo von Indien zu sehen bekamen, begeisterte und verzauberte uns. Wir besuchten  Hindutempel und Moscheen und die Farbenpracht von blühenden Bäumen und Sträuchern war einfach unglaublich. Ich fand auch das damals sehr berühmte Hotel „Mount Lavina“ ganz toll. Nach sehr viel Hitze und interessanten Sightseeing-Fahrten in den Hafenstädten Penang, Kuala-Lumpur, Singapur, Manila und Hongkong kamen wir endlich in Shanghai an.

Diese Eindrücke während der Reise waren so stark, dass ich heute noch alles genau vor mir sehe. Ich liebte das Schiff so sehr, dass ich mich in Shanghai schlecht davon trennen konnte, obwohl mein Vater uns dort am Kai erwartete und ich mich so sehr freute, ihn zu sehen. Er war überhaupt nicht fremd für mich. Wir waren zwei Tage in Shanghai und ich wollte nur eins: wieder zurück auf mein Schiff!

Von Shanghai fuhren wir mit dem Zug nach Nanking, damals Hauptstadt der Republik China

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Deutsche Schule in Nanking

Dort hatte mein Vater in der Zwischenzeit ein Doppelhaus mit einem anderen Deutschen errichten lassen. Häuser wurden in China sehr schnell und entsprechend schlecht gebaut; durch die Fenster zog es, die Türen knarrten und oft fiel auch der Putz von der Decke. So etwas fand man aber dort nicht so tragisch. In Nanking gab es zunächst keine deutsche Schule und so bin ich in die amerikanische Schule gegangen. Im Herbst wurde aber eine deutsche Schule eröffnet; von John Rabe gesponsert. Da habe ich dann hin gewechselt. Insgesamt waren wir nur neun Kinder dort; zwei davon waren älter als ich. Die Zeit in der Schule war sehr schön  für mich.

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Mit meinem Kindermädchen Alma

In unserm neuen Zuhause hatten wir einen Koch, der europäisch kochte, einen Boy, der das Haus abstaubte, eine Ama, also eine Kinderfrau, die wusch und bügelte und mich betreute. Einen Wasserträger hatten wir auch; der Wasser für die Zisterne brachte. Die Arbeitsteilung in China war sehr streng: unser Koch hätte niemals Arbeit außerhalb seiner Küche verrichtet, ein Staubtuch angefasst oder ähnliches; so wie ein Boy nicht eine Arbeit in der Küche ausgeführt hätte. Die Bediensteten wohnten in einem Nebenhaus, da, wo auch die Küche war. Ein großer Hof trennte das Hauptgebäude von den Nebengebäuden.

Im Sommer gab es monatelang sehr schwüle, feuchte Hitze. Die Herren trugen kleine Frottiertücher am Gürtel – man schwitzte schon tüchtig. Wir hatten Freunde, die ein Auto hatten. Mit ihnen fuhren wir bei der Hitze häufig auf einen Berg, einfach nur, um besser Luft zu bekommen. Die Winter waren relativ hässlich; es regnete in der Regel viel, nicht selten gab es auch Schneeregen und Schnee. Ich habe kaum Chinesisch gelernt, dazu war die Zeit zu kurz und ich hatte zu wenig Kontakt mit Chinesen. Dafür habe ich gut Englisch sprechen gelernt. Später in Deutschland in der Schule war das aber wenig akzeptiert, da ich amerikanisches Englisch sprach.

Die Zeit in China, besonders aber auch die Schiffsreise nach China und zurück nach Deutschland, waren ganz wichtige Erlebnisse in meinem Leben. Ich habe dort so viele schöne Dinge erlebt! Es war wirklich ein großes Abenteuer für mich.

Später in meinem Leben bin ich noch viele Male verreist, aber so aufregend wie die Reise in meiner Kindheit nach China war es nie mehr.“
Ulrike Wünnemann

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